2

Die Abenteuer der biZZiklette

Die biZZiklette und die meuchelnde Meute

Die Nacht war schwül und unter den Kanaldeckeln dampfte es , als die biZZiklette schließlich in den frühen Morgenstunden das Tanzlokal hinter sich ließ und, noch beschwingt von Musik und Rhythmus, in Richtung heimischer Liegestatt aufbrechen wollte. Sie schob ihr treues Velo durch die dämmrigen Gassen der Stadt und die Klingel schepperte ihre blecherne Melodie über das Kopfsteinpflaster. Sie schlenderte zwischen den Brückenkopfgebäuden hindurch, die die Straße einzwängten, wie blaue Felswände einen Canyon.

Die Brücke lag vor ihr in der langsam sterbenden Dunkelheit der Nacht und als der erste Sonnenstrahl den Boden traf, betrat sie gerade ihren Scheitelpunkt.

Ein heißer Luftstoß fuhr ihr durch die Kleider und sie blickte in seine Richtung.Dort wo einst die blaue Donau ihre weiße Gischt gegen das Ufer schleuderte und das Wasser seine Schiffe bis ans Meer trug, lag nur noch Staub. Ein paar unglückliche Fische quälten sich noch im trockenen Flussbett, bis auch sie zu Staub zerfielen und der Chamsin ihre pudrigen Überreste hoch in die Luft wehte, der biZZiklette direkt vor ihre Füße. Ihre Schuhspitzen waren bedeckt vom gelbbraunen Sand der Dornbuschsavanne. Die biZZiklette hob langsam den Blick und am Ende der Brücke nahm sie im diesigen Licht der Morgensonne die dunklen Silhouetten zweier Gestalten war.

Hinter ihr zerschnitt ein Schuss die Stille, sein Echo hallte über die plötzliche Steppe und brach sich erst an der blauen Bergkette wieder. Die biZZiklette schreckte herum und starrte fassungslos in Richtung des Schützen. Dieser hielt immer noch den Arm hoch in der Luft und aus dem qualmenden Lauf des Revolvers stiegen die Rauschschwaden langsam über seinen Kopf hinweg. Flankiert zu seinen Seiten standen, einer nach dem anderen, zu Hunderten, schwarze Reiter, bewaffnet und vermummt, die großen Hüte tief in die Stirn gezogen.

Mit einem Mal wurde der biZZiklette bewusst, in welch misslicher Lage sie sich befand.

Viel hatte man ihr schon erzählt, alte Geschichten mit langen Bärten, kaum einer glaubte tatsächlich daran. Es hieß, zu einer Zeit, als die saftigen Weiden zwischen den Kalkbergen noch von wagemutigen Viehtreibern durchstreift wurden und Linz nur ein kleines unbedeutendes Dorf an den Ufern eines kleinen unbedeutenden Baches war, brachte es ein listiger Viehzüchter zu beachtlichem Wohlstand. Seine Tochter krönte seinen Reichtum, denn sie war das edelste und schönste Mädchen diesseits der Siedlertrecks. Von allen umworben und begehrt, lehnte sie jedoch die aufdringlichen Annäherungsversuche stets ab. Bis sie an einen jungen Fährtensucher geriet, der ihr sein Herz und seine Seele schenkte. Der Vater würde sie jedoch niemals einem so unbedeutenden mittellosen Trapper in die Hände geben und so entschieden sich die beiden zur Flucht in den Süden, um dort im marokkanischem Nirgendwo zwischen Wacholdersträuchern und Halfagras ein neues Leben zu beginnen. Der Vater erfuhr jedoch von dem Plan der beiden. Banditenwesen und Revolverheldentum waren ihm nicht fremd und so war es ihm ein Leichtes eine Horde Gesetzloser um sich zu scharen. Lieber würde er seine Tochter in die kalten Arme des Todes treiben, als sie mit einem einfachen Fährtensucher davon ziehen zu lassen. Und so hetzte er seine Horde beim ersten Sonnenstrahl auf die Liebenden und sie fielen im Kugelhagel der meuchelnden Meute.

Weiter erzählt man sich, dass alle 27 Jahre, wenn Mond und Sonne sich treffen, um ihre Bestimmung zu teilen, sich die Morde von damals an genau jener Stelle wieder ereignen. Sehen kann sie jedoch nur derjenige, dessen Herz so rein und voller Liebe ist, wie es die Herzen des ermordeten Liebespaares waren.

Die biZZiklette wusste, dass sie im nächsten Moment wohl das Schicksal der beiden teilen und ihr von Kugeln durchbohrter Körper den staubigen Boden in einem dunkel leuchtenden Rot färben würde. Hastig sprang sie auf ihren Drahtesel und jagte damit zum Ende der Brücke, den beiden dunklen Silhouetten entgegen. Die wilde Horde johlte und die Reiter ließen die Pferde bäumen, dessen Wiehern sich unter das ihrer Herren mischte und zu einem abscheulichen Geschrei heranwuchs. Die biZZiklette war nur noch wenige Handbreit von dem Liebespaar entfernt und riss in diesem Moment ihr Fahrrad zur Seite, als die Meute ihre tödliche Salve abfeuern wollte. Doch bevor die wulstigen Finger der Banditen den Abzug fanden, stand die Sonne hinter ihren Rücken im perfekten Winkel und das blank polierte Rad der biZZiklette reflektierte die Strahlen und bündelte sie zu einer gleißenden Explosion puren Lichtes. Die wilde Horde, die ihre Blicke übers Korn direkt auf die armen Seelen am anderen Ende der Brücke richteten, traf die Nova mit voller Wucht. Ihre Augen schmolzen und flossen wie zähes Eiter aus ihren Höhlen. Sie fielen von ihren Pferden und wandten sich kreischend im Staub, die Hände an die blutigen Augen gedrückt.

Die biZZiklette stand am anderen Ende und vernahm ihre tief dringenden Schmerzensschreie. Sie blickte zur Tochter des Viehhändlers und dem Fährtensucher. Beide lagen sich in den Armen, genossen nach Hunderten von Jahren endlich ihre Zweisamkeit. Der Tramper zog seinen Hut vom Kopf und verneigte sich tief vor der biZZiklette. Das Liebespaar löste sich im warmen Sonnenlicht langsam auf, verschwand vielleicht für immer. So ebbten auch das Klagen der Meute ab und wurde übertönt vom wirbelnden Wasser der Donau, die wieder ihren geliebten Lauf fand und blau wie eh und je dahinfloss.

Nichts war mehr zu sehen, kein Savannensand, kein Dornbusch, kein Stiefel, kein Staubkorn zeugte mehr von den Ereignissen des frühen Morgens. Die biZZiklette richtete ihr Fahrrad wieder auf, zupfte ihre Kleider zurecht und setzte ihren Heimweg fort. Die Sonne schien ihr ins Gesicht und sie dachte bei sich:

„Was für ein herrlicher Tag für einen Morgenspaziergang.“

Fotos: Susanne Hödlmoser