d-kl-9-von-24

Die Abenteuer der biZZiklette

Die biZZiklette und die Musik des Willibald Wahn

Der Wind rüttelt an den maroden Fensterläden und der Vollmond drängt mit seinem kalten Licht durch die Vorhänge, flutet den Raum mit schaurigen Schatten. Dem Schlaf beraubt wälzt sich die biZZiklette in den weichen Daunen. In der Hoffnung ein kurzer Ausritt auf ihrem treuen Rad würde ihr die nötige Bettschwere verschaffen, schlägt sie die dicken Decke beiseite und zieht sich an. Kalt und schwer liegt die nächtliche Herbstluft über ihrem geliebten Städtchen, als sie langsam durch die dunklen Gassen radelt. Menschenleer präsentieren sich die spärlich beleuchteten Straßen und gedankenverloren trödelt sie zwischen den Häuserreihen. Der Dom erhebt sich eindrucksvoll aus dem Dunkel und reckt seine gotischen Türme dem Mond entgegen. Gebannt von dem Anblick bleibt die biZZiklette stehen und lauscht dem Rauschen der Bäume, die der Wind an die alten Kirchenmauern treibt. Doch in die Melodie der Blätter mischt sich noch eine anderer Klang. Die biZZiklette tritt neugierig näher an die schwarzen Tore des Doms und es scheint die Schlaflosigkeit treibt nicht nur sie zu so später Stunde durch die Stadt. Fahles Licht zuckt in den langgezogenen Fenstern des Doms und sie schleicht noch näher, um der schaurigen Melodei zu lauschen. Ihre Hand berührt die eisenbeschlagene Pforte und sie öffnet sich mit leisem Knarren. Scheu wirft sie einen Blick in die alte Kirche, die ihr geheimes Treiben im Schutze der Dunkelheit zu verbergen versucht. Das Kirchenschiff tanzt im Schein der Kerzen und ihr Licht versinkt in den finsteren Winkeln, versickert schließlich in den tiefschwarzen Nischen der Obergaden. Die biZZiklette drückt die kalte Türe soweit auf, bis sie endlich hindurch schlüpfen kann.

Stille.

Plötzlich erfasst sie die Musik, wie sie es niemals für möglich gehalten hätte! Ein dröhnender Schwall irrsinniger Noten schlägt gegen ihren Körper mit voller Wucht. Sie taumelt ein paar Schritte, verliert den Halt, ihre Hand greift ins Leere, bis sie das spröde Holz der Kirchenbank zu fassen bekommt und sich auffängt. Entsetzt suchen ihre Augen im trüben Zwielicht nach dem Quell dieser infernalischen Töne. Die Orgel lodert wild im Kerzenschein und in einem plötzlichen Hochschlagen der höllischen Flammen erblickt sie die Tausend Schatten des Organisten. Ein bedrohliches Getöse presst sich aus den alten Pfeifen und ihr Hall umfährt die biZZiklette wie ein grollender Windstoß aus einer anderen Welt. Es scheint, der Organist sei dem Wahnsinn verfallen, wie er sich vor dem Instrument krümmt und windet, als würde ein unaussprechlicher Schmerz seine dürren Glieder verbiegen. Die Pfeifen ächzen und krächzen wenn seine langen Finger über die Klaviatur jagen und sein Fuß stampft das Pedalwerk, zwingt unerbittlich die alte Kirchenluft durch die gepeinigte Windlade. Ungläubig und ohne sie wirklich zu begreifen, beobachtet die biZZiklette die bizarre Szene, als ein apokalyptischer Dreiklang sich unter die schaurige Komposition mischt.

Ein langgezogenes Jaulen, dessen Fauchen sich wie eine Kralle um das Herz der biZZiklette legt. Sie fährt herum und blickt in Richtung des Hochaltares, der in eisigen Flammen steht. Ein Schatten, so kalt und düster, dass ihr ein erstickter Schrei der Kehle entfährt, bäumt sich in der mächtigen Apsis. Er wütet und zerrt an den Kreuzrippen und Schildbögen, so dass sich bereits der modrig braune Sandsteinstaub wie historischer Nieselregen vom Gewölbe löst. Es scheint die abartige Dissonanz quäle das Wesen aus der Unterwelt und versuche es im Zaum zu halten, als wäre dies das einzige Bestreben des Organist. Es zurück zu drängen in die finsteren Abgründe, aus denen es empor gekrochen kam, um die Welt in ihr Verderben zu reißen. Der Organist spielt in ausschweifender Extase, seine Augen weiß, den Mund weit aufgerissen und der Geifer vermischt sich mit Schweiß und Tränen.

Da platzt mit lautem Knall einer der vielen Schläuche der pneumatischen Traktur und die bezwingende Symphonie büßte sofort an Wirksamkeit ein. Der dämonische Schatten wächst und schwillt und voller Zorn rüttelt er an dem gotischen Gemäuer. Die biZZiklette löst sich aus ihrer Schockstarre, übermannt von der bevorstehende Apokalypse hetzt auf den Ausgang zu. Die Kirchentür aus ihren eisernen Angeln stoßend, stürzt sie ihrem Velo entgegen und reißt einen der Schläuche vom Rad. Der ganze Dom bebt und zittert unter dem Wüten des Schattenwesens und erste Kreuzblumen brechen von den Türmen und zerschellen auf dem Pflaster der sakralen Pforte. Den Fahrradschlauch fest in Händen stolpert die biZZiklette die Stufen der Empore zur Orgel hinauf, um sie herum das abartige Getöse des Untergangs. Mit flinkem Griff wechselt sie den geplatzten Schlauch und tauscht ihn mit dem ihrem aus.

Augenblicklich taucht der Organist wieder in seine schaurige Melodie. Langsam und bedrohlich wächst sein Lied, bis der gesamte Kirchenraum von seinem rumorenden Grundton erfüllt ist. Das Jaulen des Schattenwesen hallt ohrenbetäubend durch den mächtigen Chorraum.Eine furiose Abfolge überirdischer Tritoni lässt alle Register der Orgel erzittern, die Kirchenluft weicht den gewaltigen Tönen, treibt die biZZiklette in die Atemlosigkeit. Sie merkt, wie sich der letzte Rest Sauerstoff aus den Kapillaren ihrer Lungen presst und der Tod ihr seine knochige Hand entgegen streckt, im Hintergrund das langgezogene Kreischen des Schattenwesens, langsam verhallend.Die Stützsäulen der Fenster beben, als das Glas in finaler Explosion in Millionen bunter Splitter zerbarst. Die Musik verstummt.

Ein brennender Sog aus eiskalter Luft flutet die Brunst der biZZiklette und sie schlägt wieder die Augen auf. Sie liegt auf den weichen Polster der letzten Kirchenbank. Nichts zeugt mehr von den schaurigen Klängen der Nacht, vom Organist und von den seltsamen Schatten.

Nur ihr Fahrradschlauch liegt zerfetzt am Kirchenboden.

Sie bückt sich, hebt ihn auf und verlässt langsam den alten Dom. Die Nacht beugt sich dem Morgengrauen und die biZZiklette schiebt langsam ihr Velo über das Kopfsteingepflaster und denkt:

„ Was für ein schöner Morgen für einen Ausflug!“

-biZZiklette-

Fotos Susanne Hödlmoser

NYFW (19 von 44)k_Snapseed NYFW (25 von 44)k_Snapseed NYFW (26 von 44)_Snapseed NYFW (29 von 44)_Snapseed NYFW (36 von 44)k_Snapseed NYFW (37 von 44)k_Snapseed NYFW (38 von 44)k_Snapseed NYFW (40 von 44)k_Snapseed NYFW (42 von 44)k_Snapseed NYFW (1 von 44)_Snapseed_Snapseed NYFW (6 von 44)k_Snapseed NYFW (7 von 44)k_Snapseed NYFW (9 von 44)k_Snapseed NYFW (13 von 44)k_Snapseed NYFW (14 von 44)k_Snapseed NYFW (15 von 44)k_Snapseed NYFW (16 von 44)k_Snapseed NYFW (17 von 44)k_Snapseed