Die Abenteuer der biZZiklette
Die biZZiklette und die wilde Fahrt
Grell und bunt leuchten die Lichter des Urfix und tanzen auf dem schwarzen Wasser der Donau, als die biZZiklette ihr Fahrrad abstellt , um dem süßen Duft von Mandeln und Karamell zu folgen. Die Nacht ist warm und sie taucht ein in die dampfende Menschenmenge die sich am Ufer der Donau entlang wälzt, begleitet von schriller Musik, laut werbenden Karussellbetreibern und dem ausgelassenem Gekicher verliebter Mädchen. Voller Vorfreude auf die nächste Fahrt drängt die biZZiklette von einem Tickethäuschen zum nächsten und kann es jedes mal kaum erwarten, wenn sich der abgegriffene Bügel schließt und sie durch die Luft wirbelt, atemlos, den warmen Fahrtwind im Gesicht. Benommen vor Glück taumelt die biZZiklette die rostigen Stufen des letzten Ringelspiels hinunter, lacht und stolpert an die kleine schmuddelige Schießbude.
Der einäugige Schausteller tritt aus dem Schatten seines Standes, wild flattert die bunte Jacke an seinem hageren Körper, als plötzlich der Wind über die Gasse fegt. Seine dürren Finger ausgestreckt deutet er der biZZiklette näher zu kommen.„Ein Freischuss für die werte Dame? Kommen Sie! Kommen Sie! Nicht so schüchtern!“ und drängt ihr das Gewehr in die Hände. Die biZZiklette legt an. Schwer liegt der kalte Lauf in der Hand, Kimme direkt auf den weißen Zylinder gerichtet. Schuss! Treffer! Zufrieden verzieht der Schausteller sein Grinsen zu einer Grimasse, ein diabolisches Jauchzen durchfährt seinen Körper und lässt ihn erzittern. „Gratuliere zu dem sauberen Schuss, mein Fräulein!“ sprach er und mit einer tiefen Verbeugung überreicht er der biZZiklette eine rote Plastikrose.
Zögernd nimmt sie die Rose entgegen. Ein Windstoß fährt durch die Schießbude und schlägt gegen ein Schild, das wild zu tanzen beginnt. Die biZZiklette fährt erschrocken herum und das spitze Ende der Rose bohrt sich in ihren Finger. Ein heller roter Tropfen Blut fällt lautlos zu Boden. Die biZZiklette sieht ihn in Tausend Teile zerspringen, ganz so als wäre er aus Glas, als dieser am staubigen Boden zerschellt. Schwindel überkommt sie. Taumelnd sucht sie Halt, als die Umgebung vor ihren Augen verschwimmt und es immer dunkler und leiser um sie herum wird.
Stille. Finsternis. Allein.
Da! Plötzlich springt das Licht beim Autodrom wieder an, leuchtet grell, blendet die biZZiklette. Lauter 90er Jahre TechnoPop schallt über den Jahrmarkt und wirft sein Echo in alle schwarzen Ecken. Wie hypnotisiert wird sie in eines der bunten Autos gezwungen und es fährt mit ihr ganz langsam die menschenleeren dunklen Gassen des Jahrmarktes entlang. Geformt zu einem stillen Tross in abgeblättertem Lack und hartem Gummi folgen die restlichen Autos. Vermummte Gestalten, langsam und schwerfällig, schließen sie sich dem Zug an. In ihren Händen halten sie stinkende Fackeln aus brennender Zuckerwatte, die ihre rußigen Flammen wild in der kalten Nacht tanzen lassen. Die Nachhut dieses gespenstischen Zugs formt der zerschlissene Gorilla, der vom Dach der Geisterbahn gestiegen ist und, alle überragend, sich die klobigen Fäuste an die Brust schlägt. Der biZZiklette läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als sie bemerkt, welch grausamer Fluch aus seinem geifernden Maul tropft. Die blecherne, tief dröhnender Stimme hallt in ihren Gedanken nach: „Letzte Runde! Aller letzte Runde!“ Unfähig sich zu bewegen erduldet die biZZiklette die Fahrt. Sie steuern auf den Ausgang zu, Richtung Ufer. Auf das Riesenrad! Majestätisch erhebt es sich zwischen den klapprigen Ständen, seine Farben strahlen über das Gelände und tauchen es in ein bedrohliches Rot. Eine hünenhafte, hagere Gestalt empfängt den Tross und bricht in schallendes Gelächter aus, als die biZZiklette aus dem Auto gezerrt wird. Tausende kalter Hände halten sie fest und zwingen sie mit sich. Gefesselt prangt sie nun direkt in der Narbe des Riesenrades. Der Gorilla tobt im Hintergrund und schwarzes Öl rinnt wie sauerer Speichel aus seinem Maul. Der Hüne thront vor dem Riesenrad, ein Hohepriester des wandernden Volkes. Er streckt beide Arme in den Nachthimmel, seine dürren Finger umfassen das heilige Langos, das er stolz den Sternen entgegen hält. Die vermummte Menge jubelt ihm zu. Der Hohepriester dreht sich langsam um und durch seinen modrigen Umhang fixiert er die biZZiklette. Sein Jahrhunderte alter Blick verbrennt sie wie gleißende Glut und plötzlich sieht sie alles ganz deutlich.
Jeweils am letzten Tag des Jahrmarktes muss die Anhängerschaft dieser ruhelosen Wanderer, ein Opfer finden. Eine unbedarfte Seele, die sie den lechzenden Lefzen des Gorillas übergeben. Einmal durch den mechanischen Verdauungstrakt des Riesenaffen gewandert, gehört die arme Seele nun auf ewig zum Nomadenvolk der Schausteller und Gaukler und fristet ihr verlorenes Dasein in der Geisterbahn. Geschieht dies nicht, kann der Jahrmarkt nicht mehr existieren und all die auf ewig Verdammten zerreißt es an Ort und Stelle. Der Hohepriester verfällt in ein monotones Gebet und endet, indem er das heilige Langos bricht. Wie ein Peitschenknall sprengt das Echo die Nacht und der Gorilla bricht durch die wartende Menge und stürzt in wildem Tempo auf das Riesenrad und die biZZiklette zu. Mit rasendem Puls erwacht die biZZiklette aus ihrer Trance. Sie spannt jeden Muskel ihres Körpers, jede Faser, jedes Haar. Das Riesenrad stöhnt unter dem enormen Druck. Noch einmal saugt sie die eisige Luft der Nacht und füllt ihre Lungen bis zum bersten. Mit einem jaulendem Ächzen reißt das Riesenrad schließlich aus seiner Verankerung. Die Menge schreit entsetzt auf, als der Gorilla seine Pranke ins Leere donnern lässt! Doch die biZZiklette rollt längst mitsamt dem Riesenrad flussabwärts die Donaulände entlang. Ein riesiger bunter Lichtwirbel, der in der Finsternis verschwindet.
Kurz vor Sonnenaufgang kommt die biZZiklette zu sich. Sie liegt im feuchten Gras am Ufer, der Himmel färbt sich bereits in seinem verwaschenen Grau. Sie blickt Richtung Urfix, doch der Platz ist leer. Fettige Papiertücher und einzelne Tickets tanzen im Morgenwind und werden über den staubigen Parkplatz geschoben. Langsam steht sie auf, klopft ihre Kleider zurecht und sperrt ihr Fahrradschloss auf. Sie schiebt ihr Rad in die schüchterne Morgensonne, in der Hand hält sie eine rote Plastikrose und sie denkt:
„Was für ein herrlicher Tag für einen Morgenspaziergang.“
Fotos © Natalie Paloma